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Neue CO2-Ziele für Autobauer. Hersteller sehen Probleme. Ich sehe Chancen.

Ach, Verkehr. Sollte ich mich gleich mit dem zweiten Blog-Post in diese Schlangengrube begeben? Das Auto, des Deutschen Lieblingshaustier direkt nach dem Hund, unverfroren angreifen? Ja, lasst es uns tun. Lasst uns ran an den Speck, weil es so viel Spaß macht und darüber so unendlich viel gesagt, gestritten und gemeckert werden kann.

Genau deswegen sollten wir aber erst einmal kleinere Brötchen backen, nicht gleich auf die gesamte Industrie und ihr Geschäftsgebaren rumhacken, sondern einen Aspekt herausgreifen, ein Aspekt, der im letzten Jahr wie ein Weihnachtsgeschenk für mich daherkam: die neuen CO2-Grenzwerte für Neufahrzeuge in der EU.

Brüssel hat da ordentlich auf den Tisch gehauen. Bis 2021 darf der CO2-Ausstoß für die Neuzugelassenen nur noch bei durchschnittlich 95 Gramm je Kilometer liegen. Bis 2025 sind noch einmal 15% herauszukitzeln und ab 2030 sind es sage und schreibe 37,5%, sprich ein Ausstoß von 59,4 Gramm je Kilometer. (Leichte Nutzfahrzeuge müssen auf 101,4 Gramm je Kilometer runter.)

Darüber sollten sich auch AutofahrerInnen herzlich freuen. Denn weniger CO2-Ausstoß geht einher mit weniger Verbrauch. Autofahren wird also billiger. Steckt hinter den EU-Plänen also eine verkappte Förderung der Automobilwirtschaft? Zwingt man die Hersteller zu ihrem Glück, indem man mehr Menschen ermöglicht, noch weiter zu fahren?

Das würde ich nicht annehmen, obwohl es doch ein gewisses Geschmäckle hat und die Industrie nach Veröffentlichung der Ziele geeint so lautstark gebellt hat, dass es fast schon verdächtig wirkt.

Am deutlichsten zeigt sich diese Doppelmoral an der Aussage des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Dessen Präsident Bernhard Mattes meint: »Das Ergebnis setzt scharfe Ziele und schafft zu wenig Impulse für neue Technologien«. Ich dachte, die vorgeschriebene Minderung verlangt erhebliche Anstrengungen in der Forschung und Entwicklung und bedarf völlig neuer Technologien. Ist das nicht Impuls genug? Ist das nicht ein Weckruf à la »Ran an die Buletten«? Die Verlautbarung des europäischen Herstellerverbands (Acea) lässt Gleiches vermuten: »[...] am heutigen Stand ist es völlig unrealistisch.« Ja dann, Ärmel hoch und in die Hände gespuckt.

Doch man spielt lieber die Angstkarte: Arbeitsplätze seinen gefährdet, der Automobilstandort Deutschland sei bedroht, außereuropäische Wettbewerber würden jetzt den großen Reibach machen und so weiter. Dabei hört man von den Herstellern nicht viel darüber, wie sie den Verbrauch ihrer Fahrzeuge reduzieren wollen und die neuen Vorgaben umzusetzen gedenken.

Vielmehr heißt es, dass sie die Elektrifizierung ihrer Flotte mit höherem Tempo vorantreiben wollen, denn die oben genannten Werte gelten nicht je Auto, sondern als Durchschnitt für die gesamte Flotte. Heißt, wenn auf einen produzierten SUV ein Elektroauto kommt, könnte man im Durchschnitt die CO2-Grenzwerte bereits einhalten. Also sind die gesteckten Ziele nun doch eine verkappte Förderung, nur eben für Elektroautos?

Schwierig. Zumal bei der Produktion eines Elektroautos samt Batterie und fortlaufendem Betrieb fast genauso viel CO2 anfällt, wie ein Golf mit Verbrennungsmotor über seine gesamte Lebensdauer verursacht. Nur, dass bei Ersterem kein Auspuff vorhanden ist. Ja, wir rechnen uns die Welt mal wieder schön. Aber sei es drum, Verbrauch und Ausstoß reduzieren, ist immer eine gute Sache.

Kommen wir zum eigentlichen Anliegen von ECONOMY2BEE: Das Geschäftsgebaren der Automobilindustrie ist in dieser Hinsicht unmoralisch, umweltschädigend und nicht nachhaltig. Drei Beispiele:

A) Klimaschädlich.
Verkehr trägt im erheblichen Ausmaß zum Klimawandel bei. Fast 20% des in Deutschland ausgestoßenen CO2 geht auf seine Rechnung. Und während in anderen Bereichen der Ausstoß rückläufig ist, nimmt er im Verkehrssektor weiter zu. Darüber hinaus zahlen Feinstaub, Gummiabrieb, Produktionsverfahren, Lärm, Flächenversiegelung für Straßen und so weiter aufs Schmuddelkonto von Verkehr mit ein. Die Zeche für Individualverkehr wird also nicht unwesentlich von der Allgemeinheit gezahlt.

B) Anti-europäisch.
Die Androhung von Arbeitsplatzverlusten und einer Schädigung des Wirtschaftsstandorts ist reine Panikmache um politischen Druck auszuüben, damit einem Weiter-so Vorrang vor Innovation und Forschung gewährt wird. Hierbei schrecken die Hersteller vor den vermeintlich hohen Entwicklungskosten zurück, die wiederum das Jahresendergebnis belasten würden, sprich Boni und Renditen schrumpfen ließen. Jedoch den Glauben bei den vielen zehntausenden Arbeitnehmern zu wecken und zu stärken, die EU träfe Entscheidungen, die euch um Job und Brot bringen, ist anti-europäisch, fast schon nach AfD-Manier und schlichtweg falsch.

C) Rückschrittlich.
Neben Energie und Landwirtschaft steht die Autoindustrie vor massiven Veränderungen, nicht nur durch eine strengere Klimapolitik, sondern auch aufgrund anderer Megatrends wie Digitalisierung und Urbanisierung. Fast schon ist man verleitet, an die Kutschenfabrikanten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu denken, die sang- und klanglos mit der Verbreitung des Automobils ins Hintertreffen gerieten. Anfangs stemmte man sich gegen die Verdrängung, ließ Sattler, Schlosser, Schreiner, Lackierer, Gürtler, Glaser, Bortenmacher, Polsterer und Tapezierer einfach weiterbauen und tauschte Pferde gegen Motoren. Das ging reichlich nach hinten los. Die meisten Manufakturen mussten schließen. Die gesamte Automobilwirtschaft und ihre Zukunftsaussichten befinden sich auf einem absteigenden Ast, möchte man meinen. Eine nachhaltige Anpassung an eine klimagerechte, digitale und urbane Welt? Fehlanzeige.

Über kurz oder lang werden Automobilhersteller also zu ihrem eigenen Problem. Zwar sind die Visionen der Zukunft meist Science-Fiction, aber in keiner kommen auf Straßen fahrende Autos vor. Daher muss die Autobranche reagieren, bei Forschung und Entwicklung nicht kleckern, sondern klotzen. Langfristig geht es um nicht weniger als ihre Existenz und Daseinsberechtigung.

ECONOMY2BEE will nicht die Welt verändern, sondern Unternehmen zeigen, wie sie sozial und ökologisch auf die Veränderung der Welt reagieren sollten.
In Bezug auf die neuen CO2-Grenzwerte ergeben sich folgende Empfehlungen:

1. Fangen wir bei der Kommunikation an. Wie schön wäre es gewesen, ein Automobilhersteller hätte sich nach Bekanntgabe der CO2-Ziele zu folgender Pressemitteilung durchgerungen: »Wir freuen uns auf die neuen technischen Herausforderungen und sind stolz, einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten.« Oder so ähnlich. Denn hier schwingt mit, dass der Innovationsgeist noch am Leben ist, man kein festgefahrener, eingestaubter Gestriger ist, dass die Verantwortung für das Klima ernstgenommen wird und die daraus resultierende Aufgabe, selbst einen Beitrag zu leisten, als Unternehmensziel verstanden wird.

2. Um auch in der Zukunft eine Daseinsberechtigung zu behalten muss die Automobilindustrie nicht nur die neuen Vorgaben anerkennen, sondern diese auch selbst übernehmen, um nicht zu sagen übertreffen. Sehenden Auges laufen sie ohnehin in immer strengere Vorgaben. Es ist keine Fata Morgana, irgendwann wird sich die Forderung durchsetzen, Verkehr müsse vollständig klimaneutral sein. Die Hersteller lassen sich jedoch nur von Grenzwert zu Grenzwert peitschen, dabei sollten sie schon jetzt das langfristige Ziel im Blick haben, insbesondere bei ihren langen Entwicklungszeiten, die nicht selten die 10-Jahresmarke knacken. Heißt, die Branche sollte sich schon jetzt und aus eigenen Stücken dem Ziel verschreiben, null Emissionen auszustoßen. Nur dadurch wird sie vom Gejagten zum Jäger, Beute: Politik und Wettbewerber aus Fernost und Übersee.

3. Die Hersteller müssen ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung massiv aufstocken. Ja, die deutschen Hersteller investieren bereits heute Milliarden in ihre Forschungsabteilungen. Doch was kommt dabei rum? Neue Pilotprojekte und Studien, die effekthascherisch auf noblen Automessen vorgestellt werden. Bereits in den 80er-Jahren hat Daimler die Zukunft des Automobils so prognostiziert, wie sie auch aus heutiger Sicht aussehen wird: autonom und elektrisch. Auf der IAA, der internationalen Automobilausstellung, wurde bereits 1991 ein Elektromobil von Volkswagen und BMW präsentiert. 1992 nahmen Mercedes, BMW, VW und Opel an einem Pilotprojekt teil, den Verkehr auf der Ostseeinsel Rügen zu elektrifizieren. Ergebnis: Die Technik war noch nicht ausgereift. Es gibt unzählige weitere Beispiele von fehlgeleiteten oder versandeten Investitionen in die Zukunft des Automobils. Neuester Schrei: Allianzen allerorts. Autobauer tun sich zusammen, gründen Joint Verntures mit Batterieherstellern oder Start-ups aus dem Silicon Valley. Doch darin zeigt sich weniger der Appetit auf Innovationen, sondern vielmehr das Unvermögen selbst Antworten auf die Fragen der Zukunft zu finden. Investitionen in Verbrennungsmotoren sollten insoweit beschränkt werden, dass sie ihre Klimabilanz möglichst verbessern, bis das eigentliche Ziel, Null-Emmisionen-Fahrzeuge, erreicht ist. Visionen sind gefragt, langfristig und nachhaltig, nicht die Angst, es würde am eigenen Stuhl gesägt.

4. Zu guter Letzt muss eines her: Diversifizierung. Rollende Blechbüchsen auf der Straße gehören bald der Vergangenheit an, ob nun als elektrischer Smart oder rauchender SUV. Der Individualverkehr, insbesondere in entwickelten und urbanen Gegenden, befindet sich auf dem Abstellgleis. Neue umweltfreundliche, sozial gerechte und zukunftsweisende Mobilitätskonzepte sind gefragt. Genauso wie die Kutschenhersteller untergingen, die dem Automobil nichts anderes als eine umgebaute Kutsche entgegensetzen und die Hersteller aufstiegen, die den Trend erkannten und sich vollends darauf einstellten, unter ihnen Henry Ford und die Gebrüder Opel, genauso werden die Automobilhersteller in die Röhre gucken, die am Auto festhalten, auf Gedeih und Verderb. Der Unternehmenszweck der Hersteller sollte in der Mobilität, in der Fortbewegung liegen, nicht einzig und allein im Fahrzeugbau. Denken wir also groß und weit: Drohnen, selbstfahrende Busse, Elektroladestationen, Automatisierung des Güterverkehrs, klimaneutrale Containerschiffe, intelligente Verkehrssteuerung – es gibt nichts, was unter dem Stern der Mobilität nicht angedacht werden kann. Doch die Hersteller haben Angst, scheuen Kosten und Fehlschläge, sind auf der Entscheiderebene bequem und träge geworden und rennen seltsam anmutenden Zielen hinterher, wie größter Autobauer der Welt zu werden. Wie wäre es mit sauberster Autobauer der Welt? Um langfristig zukunfsfähig zu bleiben, müssen Hersteller den Fokus vom Automobil lösen und an weitreichenden Mobilitätskonzepten arbeiten. Das sollte auch im Interesse ihrer Anteilseigner und Aktionäre sein.

Für mich liegt darin eine positive Botschaft, eine Botschaft, die viel Neues verspricht, den Pioniergeist weckt und das Geschäftsgebaren unter einen nachhaltigen Stern stellt. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, das Feld noch relativ unbesetzt, das Revier neu abzustecken. Das sollte keine Angst und reaktionäres Kopfschütteln wecken, sondern Mut und Tatendrang. Denn die Zukunft lässt sich nicht aufhalten, sie kommt auf uns zu und wird zur Gegenwart. Ob sie dann mit oder ohne den deutschen Automobilherstellern stattfinden wird, liegt ganz allein in deren Händen und Forschungsabteilungen.

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